Resilienz
Viele Betroffene haben es geschafft, die traumatischen Erlebnisse ihrer Kindheit langfristig zu überleben. Sie haben Strategien gefunden, mit dem Erfahrenen umzugehen. Diese Fähigkeit wird Resilienz genannt.
Wie kann man das überleben?
Kraftquellen gibt es viele – sie reichen von der Beziehung zu Menschen und Tieren über den Glauben bis hin zu Musik und Kunst. Sie helfen, die persönlichen Ressourcen zu stärken.
Die Frage, wie Menschen die Widrigkeiten des Lebens überleben und Wege finden, auch nach traumatisierenden Erfahrungen weiterzuleben, beschäftigt die Resilienzforschung seit den 1950er-Jahren. Es bestehen hierzu verschiedene Modelle. Allen gemein ist die Überzeugung, dass die für Resilienz erforderlichen Ressourcen gestärkt werden können. ...
Traumatisches Aufarbeiten
Therapeutische Arbeit kann helfen, mit dem Erlebten und seinen Folgen besser umzugehen.
MarieLies Birchler hat therapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Sie hat dabei auch die Kraft gefunden, das Gespräch mit den Nonnen von Ingenbohl, die sie über viele Jahre misshandelt haben, zu suchen.
«Für alle, die in ihrer Würde verletzt wurden»
Die Musik hat für viele Menschen eine grosse Bedeutung. Für Menschen mit traumatisierenden Erfahrungen kann sie Kraftort und Inspiration zugleich sein.
Das selbst komponierte Stück «Fremdplatziert aus der Sicht jener Kinder» sang Yvonne Barth am Gedenkanlass für Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen des Kantons Basel-Stadt vom 25. Oktober 2021. Ihr Lied benennt das Erfahrene und macht gleichzeitig die Energie der eigenen Widerstandskraft hörbar.
Wir sprechen in diesem Film
Wie kann man das überleben?
Kraftquellen gibt es viele – sie reichen von der Beziehung zu Menschen und Tieren über den Glauben bis hin zu Musik und Kunst. Sie helfen, die persönlichen Ressourcen zu stärken.
Die Frage, wie Menschen die Widrigkeiten des Lebens überleben und Wege finden, auch nach traumatisierenden Erfahrungen weiterzuleben, beschäftigt die Resilienzforschung seit den 1950er-Jahren. Es bestehen hierzu verschiedene Modelle. Allen gemein ist die Überzeugung, dass die für Resilienz erforderlichen Ressourcen gestärkt werden können. ...
Resilienzforschung: Die Suche nach Wegen im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens
Der Begriff der Resilienz ist im heutigen Sprachgebrauch allgegenwärtig. Er bezeichnete ursprünglich die physikalische Fähigkeit eines Gegenstandes, nach einer Verformung in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuspringen. Die Psychologie hat diesen Begriff übernommen, und heute ist die Resilienz Gegenstand verschiedener Wissenschaften wie der Pädagogik, der Neurowissenschaft oder in der Verhaltensbiologie. Resilienz bezeichnet eine «gute Entwicklung» trotz hoher Risikofaktoren, und die Resilienzforschung fragt danach, was die Gründe dafür sind.
Neben individuellen Ressourcen und medizinischen Risikofaktoren können sich auch soziale Strukturen und gruppenspezifische Faktoren wie Armut, Familie oder Migration auf die Resilienz von Menschen auswirken. Insbesondere in den 1970er-Jahren wurden mehrere Langzeitstudien dazu durchgeführt. Pionierarbeit leisteten Emmy Werner und Ruth Smith mit der sogenannten Kauai-Studie, die rund 700 Personen ab ihrer Geburt im Zeitraum von 1955 bis 1995 begleitete. Ein zentrale Erkenntnis dieser Studie ist, dass eine vertrauenswerte und verlässliche Bezugsperson in der frühen Kindheit die Chance für jeden Menschen erhöht, im Leben zu reüssieren.
Ressourcen stärken trotz individueller Risikofaktoren
Resilienz wird in der Psychologie nicht als Eigenschaft, sondern als Prozess verstanden. Sie verändert sich im Verlauf einer Biografie und ist situationsabhängig. Äussere Faktoren und individuelle Fähigkeiten einer Person, sogenannte Ressourcen, können positiven Einfluss auf die Bewältigung schwieriger oder traumatisierender Erfahrungen haben. Die dafür notwendigen Voraussetzungen und deren Zusammenspiel sind komplex.
Die Resilienzforschung geht davon aus, dass Ressourcen erlernt und gestärkt werden können. Sie beinhalten die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, was helfen kann, erlebte Situationen einzuordnen, zu reflektieren und auf diese Weise Distanz zum Erlebten zu gewinnen. Resilienz kann helfen, soziale Beziehungen aufzubauen und die Kooperationsfähigkeit zu stärken. Die Befähigung zur Selbstregulation, wie etwa das Erkennen der eigenen Bedürfnisse und Gefühle, unterstützt die Stressbewältigung und stärkt körperliche Gesundheitsressourcen. Individuelle Interessen zu pflegen, tragende soziale Beziehungen aufzubauen oder einen Sinn im Leben zu sehen, erhöhen den Selbstwert und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen haben oft Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch erfahren. Für manche von ihnen war damals die Fantasie ein wichtiger Fluchtort, der mithalf, das Trauma zu überleben. Fehlte die Zuwendung von Erwachsenen, konnten in manchen Fällen auch Tiere die Lücke zumindest teilweise füllen, indem sie emotionale und körperliche Nähe gaben.
Viele Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen kamen als Jugendliche oder Erwachsene an einen Scheideweg, an dem sie sich bewusst für das Weiterleben entschieden, trotz der vielfältigen und anhaltenden Folgen erlittener Traumata. Für andere wog das Erlebte so schwer, dass sie sich suizidierten. Die Ressourcen, die die Widerstandsfähigkeit von überlebenden Betroffenen stärken und erhalten, sind unterschiedlich. Neue Bezugspersonen im Jugend- und Erwachsenenalter, Familie und Freundschaften oder eben enge Beziehungen zu Tieren können wichtige Kraftquellen sein. Andere finden diese im Glauben und in der Spiritualität, wieder andere in persönlichen Leidenschaften, Hobbys und in künstlerischen Ausdruckformen.
Gesundheitliche, finanzielle und soziale Langzeitfolgen haben Einfluss auf die eigene Widerstandskraft. Und auch wenn Resilienz vorhanden ist: Weil es sich dabei um einen Prozess handelt und nicht um einen Zustand und weil dieser Prozess nicht linear verläuft, kann Resilienz durch unvorhergesehene Ereignisse – wie etwa durch den Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie – immer wieder erschüttert werden.